Exkursion EX9

Vom Kirchhof zum Friedhof. Führung zur Christlichen Bestattungskultur

Dipl. Archivarin Bärbel Sunderbrink M.A.

Jahrhundertelang wurden die Verstorbenen auf dem Areal rund um die Pfarrkirchen bestattet. Besonders Privilegierte hatten sogar das Recht, innerhalb der Gotteshäuser beigesetzt zu werden. Ad sanctos – bei den Heiligen – seine letzte Ruhe zu finden, hatte für die Menschen des Mittelalters eine wichtige Bedeutung, erhoffte man sich doch von der Fürbitte der Heiligen eine Erleichterung auf dem Weg zum Jüngsten Gericht. Mit der Reformation löste sich zwar die religiöse Verbindung von Bestattungsort und Kirche auf, doch beharrten die Menschen aus Gründen der Tradition auf die Beibehaltung der angestammten Plätze. Während ein kleiner Teil der städtischen Bevölkerung Erbbegräbnisse besaß, musste sich der größere Teil mit einem zeichen- und namenlosen Grab zufrieden geben.

Die Lage der Bestattungsplätze änderte sich erst, als mit der Aufklärung Prinzipien von Ordnung und Zweckmäßigkeit eine immer stärkere Rolle einnahmen. Die verwesenden Leichen wurden nun als eine Gefahr begriffen, vor denen die Lebenden zu schützen waren. Eine rational agierende Verwaltung setzte Anfang des 19. Jahrhunderts die Anlage neuer Friedhöfe vor den Ortschaften durch. In Bielefeld geschah dies 1808, als ein Besuch des für sein fortschrittliches Denken bekannten Königs Jérôme anstand. Damit hatte das nur kurzlebige Königreich Westphalen eine Reform umgesetzt, an der die preußischen Behörden jahrelang erfolglos gearbeitet hatten. Binnen kurzer Frist wurden alle vier Begräbnisplätze innerhalb der Stadtmauern planiert und mit Bäumen bepflanzt. Die Grabsteine mussten abgeräumt werden, so dass bald nichts mehr an die dort ja noch immer ruhenden Verstorbenen erinnerte.

Die Friedhöfe der Moderne wurden ganz nach hygienischen Vorstellungen und rationalen Ordnungsprinzipien eingerichtet. Während die auf Dauer angelegten Familiengräber die generationsübergreifende Erinnerungsgemeinschaft hervorhob, ließ das auf eine begrenzte Ruhezeit angelegte Reihengrab eine derartige Traditionsbildung nicht zu. Auf den Familiengräbern haben sich kulturgeschichtlich wertvolle Gedenksteine erhalten, die nicht nur für Genealogen von Interesse sind. Die im 19. Jahrhundert einsetzende bürokratische Ordnung brachte akribische Bestattungsregister hervor, die einzelne Gräber über Jahrhunderte nachverfolgen lassen.

Mit der Führung soll am Bielefelder Beispiel exemplarisch eine allgemeine Entwicklung verdeutlicht werden. Die Führung beginnt an der Neustädter Marienkirche, wo an die vormoderne Bestattungsweise in den Gotteshäusern und auf den Kirchhöfen erinnert wird. Sie wird eingeleitet durch ein Orgelspiel von KMD Ruth M. Seiler. Der Weg führt von der Marienkirche zum 1808 angelegten Friedhof „vor dem Niederntor“, der heute unter der Bezeichnung „Alter Friedhof“ bekannt ist. Hier werden einige Grabstätten des aufstrebenden Wirtschaftsbürgertums des 19. Jahrhunderts vorgestellt.

Siehe auch: Vortrag C1 am Samstag Nachmittag:
Die letzte Reise. Bestattungsrituale. Friedhöfe und Erinnerungskultur in Ravensberg


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