Auszug aus der Kulturgeschichte Mitteleuropas mit Schwerpunkt Spätmittelalter

Aktualisiert: 12.02.2010
Die nachstehenden Ausführungen stellen den kulturhistorischen Kontext des wissenschaftlichen Wirkens unseres Familiengründers Christian Gueintz (1592 - 1650) und seiner Nachkommen dar. Es soll mithelfen, die Zeit unserer Vorfahren kennen zu lernen und ihr Denken, Handeln und Wirken zu verstehen.

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Der Humanismus in Deutschland

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Scholastik (mittellateinischer Begriff: Schulwissenschaft), Sammelbezeichnung für die Wissenschaft des lateinischen Mittelalters ab dem 9. Jahrhundert, vor allem aber für Philosophie und Theologie kennzeichnend. [1] [2]

Ihr Kennzeichen ist die scholastische Methode: Fragen werden unter Berücksichtigung von Einwänden durch Befragung der Autoritäten entschieden. Dieses Verfahren der "disputatio", das streng nach den Regeln der Syllogistik erfolgte, zeigt deutlich einen wichtigen Zug der Scholastik: Wahrheit kann nur bei den Autoritäten Bibel, Kirche, Aristoteles (griechischer Philosoph, 384 - 322 v. Chr.) gefunden werden. [2]

Syllogistik: griechisch: Kunst des richtigen Schlussfolgerns, wurde von Aristoteles begründet und von der Scholastik ausgebaut. Dabei wird aus zwei Prämissen auf eine Konklusion geschlossen. [2]
Die scholastischen Methoden wurden maßgebend von Petrus Abälardus (französischer Theologe und Philosoph, 1079 - 1142) entwickelt: Zu einem Problem werden alle verfügbaren Argumente "pro et contra" (für und wider) zusammengetragen, um damit die bestehende Glaubenswahrheit zu bestätigen. [1] Über Petrus Abälardus
Man unterscheidet Früh-, Hoch- und Spätscholastik. Charakteristisch für die gesamte Scholastik war ihre Abhängigkeit von der Theologie, der Autorität der Kirche und ihre Textgebundenheit an die Bibel. Basis bildete die Annahme, dass die Glaubenswahrheit bereits durch die Theologie definiert sei. So beschränkte sich die Scholastik darauf, die theologischen Aussagen rational zu begründen, zu deuten, zu systematisieren und zu verteidigen. [1]

 Top 50 Ahnenforschung

Frühscholastik (9. bis 12. Jahrhundert)

Die beiden umstrittenen inhaltlichen Hauptprobleme der Frühscholastik waren das Problem der Dialektik und das der Universalien.

In der Frage der Dialektik, ob die Vernunft (ratio) über die Wahrheit zu entscheiden habe, vertreten unter anderem durch Berengar von Tours (Theologe, 1000/1010 - 1088) oder die kirchliche Autorität, vertreten unter anderem durch Petrus Damiani (italienischer Kardinal und Kirchenlehrer, 1007 - 1072), fand Anselm von Canterbury (Theologe und Philosoph, 1033 - 1109) mit seiner Formel "Credo, ut intelligam" ("ich glaube, damit ich verstehe") eine vermittelnde Lösung.

Über Berengar von Tours

Über Anselm von Canterbury

Über Petrus Damiani

Im Universalienstreit (sind Allgemeinbegriffe nur "Laute" oder real existierende Entitäten) setzte sich schließlich ein gemäßigter Realismus durch, der den Begriffen insofern Realität zuerkennt, als sie Gottes Gedanken sind, nach denen die Dinge geschaffen wurden. [1] Entität: scholastischer Begriff, die Seiendheit eines Dings, das etwas ist. [1]

Hochscholastik (13. bis frühes 14. Jahrhundert)

Neue Universitäten wurden gegründet, die Franziskaner und Dominikaner (Mönchsorden) traten in das wissenschaftliche Leben ein, und die naturwissenschaftlichen Schriften vorchristlicher Gelehrter, wie die des Griechen Aristoteles (Philosoph, 384 - 322 v. Chr.) sowie die Werke von arabischen und jüdischen Gelehrten, wie Averroes (arabischer Philosoph, Theologe, Jurist und Mediziner, 1126 - 1198) und Avicenna (persischer Philosoph und Arzt, 980 - 1037), wurden bekannt. [1]

Über Averroes

Über Avicenna

Man versuchte, die dort zu lesenden Erkenntnisse mit den kirchlichen Dogmen in Einklang zu bringen. Vor allem Thomas von Aquin (Theologe und Philosoph, 1225 - 1274) bemühte sich um eine rationalistische Harmonisierung von Glauben und Wissen. [1] Über Thomas von Aquin

Dagegen ordnete die jüngere Franziskanerschule, vertreten unter anderem durch Duns Scotus (schottischer Theologe und Philosoph, 1265/66 - 1308) in ihrer Erkenntnislehre das Denken dem Willen unter, um die individuelle Wissensbildung von einer universalen Autorität zu befreien. Der Weg des skeptischen Verzichts auf Harmonisierung von Glauben und Wissen (besonders an der Pariser Universität) geriet durch die Annahme einer doppelten Wahrheit in Konflikt mit der Kirche. [1]

In der Hochscholastik verminderte sich die Theologie-, Autoritäts- und Schulgebundenheit. [1]

Über Duns Scotus

Die Spätscholastik (spätes 14. bis 15. Jahrhundert)

Der Einfluss der Wissenschaft verstärkte sich in der Spätscholastik. Es verhärteten sich die Fronten zwischen den zwei verschiedenen Richtungen, der von Thomas von Aquin im Thomismus und der von Duns Scotus im Scotismus. Die thomistische Lehre wurde zur offiziellen Lehre der Kirche erklärt und Thomas 1567 postum zum Kirchenlehrer erhoben. [2]

 

Auf der anderen Seite wurde die Ablösung des wissenschaftlichen Denkens von den theologischen Prämissen vor allem durch Wilhelm von Ockham (englischer Theologe und Philosoph, 1285 - 1347) unterstützt, dessen wieder formulierter Nominalismus sowohl eine theologie- wie auch metaphysikkritische als auch eine die empirische Naturforschung vorantreibende Argumentation einschlug. [1]

Da nur das Individuum wirklich ist, bedarf es der Erfahrung, um Erkenntnisse zu gewinnen. [2]

Mit dieser Befreiung aus dem Primat der Theologie bildete die Spätscholastik einen Übergang zur Renaissance und Neuzeit. Die theologiegebundene Philosophie (Philosophie als "ancilla" [Magd] der Theologie) blieb jedoch noch in der katholischen Schultheologie bis in jüngste Zeit wirksam. [1]

Über Wilhelm von Ockham

Humanismus

Allgemein

Der Begriff Humanismus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet allgemein das Bemühen um Humanität, um eine der Menschenwürde und freien Persönlichkeitsentfaltung entsprechende Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft durch Bildung und Erziehung. Aber auch Schaffung der dafür notwendigen Lebens- und Umweltbedingungen selbst. Im engeren Sinne dient der Begriff vor allem zur Kennzeichnung der philologischen, kulturellen und wissenschaftlichen Bewegung des 14. bis 16. Jahrhunderts. [1]

Renaissance-Humanismus

Dieser sogenannte Renaissance-Humanismus wandte sich zum Zwecke einer von der kirchlichen Dogmatik befreiten diesseitigen Lebensgestaltung gegen die Scholastik, indem er die Wiederentdeckung und Pflege griechischer, lateinischer und römischer Sprache, Literatur und Wissenschaft forderte. [1]

Humanisten galten als Vorbilder antiker Gelehrsamkeit und einer auf literarischer Gelehrsamkeit begründeter Menschlichkeit. [1]

Menschenbild, Naturauffassung und Geschichtsverständnis werden in Anlehnung an die Kultur der Antike entworfen. [2]

Oft synonym verwendet, unterscheiden sich Renaissance und Humanismus in der Weise, dass Humanismus von seinem Beginn her für den Rückbezug auf lateinische Schriften, besonders auf Cicero (römischer Staatsmann, Redner und Philosoph 106 - 43 v. Chr.), steht, während er sich unter der Erweiterung des griechischen Denkens zur Renaissance ausweitete. [1]

 
Zunächst außerhalb von Wissenschaft und Universität waren es in Italien Vertreter des gehobenen Bürgertums, unter anderem Dante Alighieri (italienischer Dichter, 1265 - 1321), Coluccio di Pierio di Salutati (italienischer Humanist, 1331 - 1406 [3]) und Francesco Petrarca (italienischer Humanist und Dichter, 1304 - 1374), die sich unter Rückbesinnung auf die literarischen und allgemein kulturellen Leistungen des antiken Römertums gegen die politischen Auflösungserscheinungen der norditalienischen Staaten und dem vielfach verhärteten kirchlichen Dogmatismus zu wehren suchte.

Über Dante Alighieri

Über Coluccio di Pierio di Salutati

Über Francesco Petrarch

Seit etwa 1400 und besonders seit der Zerstörung von Byzanz (oströmisches Reich, welches durch die Eroberung von Konstantinopel, heute Istanbul, durch die Osmanen am 29. Mai 1453 unterging [1]) verstärkte sich durch den Einfluss byzantischer Gelehrter die Beschäftigung mit der griechischen Literatur, unter anderem durch Giovanni Pico della Mirandola (italienischer Humanist und Philosoph, 1463 - 1494 [3]). [1] Über Giovanni Pico della Mirandola
Erst durch die Konzile von Konstanz (1414 - 1418) und Basel (1431 - 1449) wurde der Humanismus auch in Frankreich durch Jacobus Faber (französischer Humanist und Theologe, 1450/55 - 1536/37), in Spanien durch Francisco Jiménez de Cisneros (spanischer Kardinal und Staatsmann, 1436 - 1517) und England durch John Colet (englischer Theologe und Humanist, 1467 - 1519) wirksam. [1]

Konzil: lateinisch concilium (Zusammenkunft), Versammlung von Bischöfen und anderen kirchlichen Amtsträgern zur Erörterung und Entscheidung kirchlicher Fragen. [1]

Über John Colet

Der Humanismus in Deutschland

In Deutschland entstanden erstmals humanistische Zirkel, die teils stärker christlich orientiert waren als ihre italienischen Vorbilder, teils betont nationalistische antirömische Tendenzen zeigten. Vertreter dieser Strömung war unter anderem Konrad Celtis (deutscher Humanist, 1459 - 1508).

 Top 50 Ahnenforschung

Literarischer Höhepunkt waren die Schriften Erasmus von Rotterdam (niederländischer Humanist und Theologe, 1466 - 1536) und Ulrichs von Hutten (deutscher Humanist und Publizist, 1488 - 1523) sowie die "Epistolae obscurorom virorom" (lateinisch: Dunkelmännerbriefe, fingierte Briefsammlung verschiedener humanistischer Autoren, 1515 - 1517).

Zentren des deutschen Humanismus waren Nürnberg, vertreten durch Willibald Pirckheimer (deutscher Humanist, 1470 - 1530), Gregor von Heimburg (deutscher Rechtsgelehrter und Humanist, 1400 - 1472) und Niklas von Wyle, Augsburg, vertreten durch Konrad Peutinger (deutscher Humanist, 1465 - 1547), Heidelberg, vertreten durch Philipp der Aufrichtige, Johannes von Dahlberg und Rudolf Agricola (niederländischer Frühhumanist, 1444 - 1485) und Straßburg, vertreten Jakob Wimpfeling (deutscher Humanist, Geschichtsschreiber und Theologe, 1450 - 1528) und Johannes Geiler von Kaisersberg (deutscher Theologe und Volksprediger, 1445 - 1510). [1]

Über Erasmus von Rotterdam

Über Ulrich von Hutten

Zugleich fand der Humanismus in Deutschland mit Conradus Mutianianus Rufus (deutscher Humanist, 1470/1 - 1526), Johannes Reuchlin (deutscher Humanist, 1455 - 1522) und Philipp Melanchthon (deutscher Humanist und Reformer, 1497 - 1560) Eingang in die Universitäten. Das Denken des Humanismus und der Renaissance ist entgegen früheren Thesen weitgehend voraufklärerisch geblieben und stellt keinen markanten Bruch zur Tradition des Mittelalters dar. [1] Über Phillip Melanchthon

 

Quellen:

 [1]  Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1992
 [2]  Meyers kleines Lexikon Philosophie, Mannheim, Wien, Zürich, 1987
 [3]  Edwin Burton, The Catholic Encyclopedia (1999)




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