Vortrag A10

Beruf und Genealogie am Übergang von der vorindustriellen zur industriellen Gesellschaft

Dr. Hermann Metzke

In der ständischen Gesellschaft der frühen Neuzeit war die Berufswahl keine freie Entscheidung; sie wurde durch Standesrücksichten, familiäre Einbindungen und Beziehungsgeflechte bestimmt. Das hatte starre Sozialstrukturen zur Folge, Auf- und Abstieg von Familien vollzog sich über Generationen. Die Strukturen werden an zwei Beispielen dargestellt:

- Zunfthandwerker und Akademiker in der Freien Reichsstadt Mühlhausen/Thüringen
- Papiermüller, Förster, Holzhändler, Posthalter, Gutspächter und Pastoren in einem nordhessischen ländlichen Familienkreis

Viele Aspekte der Sozialgeschichte des Industriebürgertums im 19. Jahrhunderts sind ohne Rückgriff auf die Strukturen der vorhergehenden ständischen Gesellschaft nicht oder nicht vollständig zu verstehen. Die Vertreter dieser Gesellschaftsschicht kamen in der Mehrzahl aus der alten Oberschicht oder oberen Mittelschicht der vorindustriellen Gesellschaft – Kaufleute, Zunfthandwerker, Müller, Akademiker, wohlhabende Bauern, die den nötigen Kenntnis-/Bildungsvorlauf und/oder das notwendige Geld mitbrachten. Eine Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär war in Deutschland eine seltene Ausnahme. Die Einführung der Gewerbefreiheit brachte eine erhebliche soziale Differenzierung mit sich, Auf- und Abstieg gingen parallel. Daß sich Handwerksbetriebe zu Industriebetrieben des gleichen Berufszweiges und Wassermühlen zu Industriemühlen entwickelt haben, leuchtet ohne weiteres ein und muß nicht weiter ausgeführt werden. Die Zusammenhänge sind aber komplexer, was an zwei Beispielen exemplarisch belegt werden soll:

- Die Korporationsältesten der Berliner Kaufmannschaft 1847/48
- Wassermühlen als Ursprung von Industriebetrieben

Bei dem engen Zusammenhang zwischen Beruf und Familie in der frühen Neuzeit bietet sich der genealogische Forschungsansatz für die Bearbeitung sozialgeschichtlicher Probleme an. Viele Forscher scheitern aber an der hohen Mobilität bestimmter Berufsgruppen. Andererseits haben zahlreiche Genealogen ein immenses Datenmaterial zusammengetragen, kommen jedoch infolge regionaler Begrenzung und der Komplexität der Zusammenhänge häufig über die Erstellung einzelner Biografien und Familien nicht hinaus. Im Gegensatz zu der vorrangig regional orientierten Forschung der meisten genealogischen Vereine bietet sich für diese Fragestellungen die Zusammenarbeit in von interessierten Vereinen getragenen problemorientierten interdisziplinären Arbeitskreisen an. Am Beispiel des 2008 gegründeten Arbeitskreises „Müller- und Mühlenforschung“ werden die Möglichkeiten solcher Gemeinschaftsarbeit erörtert.


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